Unbekannte Gemälde einer berühmten Malerin entdeckt - in Gunting, ehemals Gemeinde Pönning
Über 20 Gemälde von Marie Luise Scherer aus Straubing
Durch Zufall hat Hein Sax aus Oberharthausen ein Gemälde von Pönning bei Facebook entdeckt und nachgeforscht, wo das Bild herkommt. Daraus ergaben sich eine ganze Reihe von Gemäldefunden, die bisher unbekannt waren. Die Familie von Marie Luise Scherer aus Straubing war Ende 1944 bis 1946 bei Haslbecks in Gunting evakuiert. Während dieser Zeit malte Luise Scherer eine Reihe Portraits und Landschaften.
Es wird versucht, das Leben der Marie Luise Scherer und ihre Entwicklung als Malerin durch ihre Bilder zu illustrieren und die Bilder, die in Gunting und der Umgebung entstanden sind, darin einzubetten.
Pönning vom Giegelberg aus - 1945
Ausbildung und Erfolge
Marie Luise Scherer, geboren 1903, stammte aus einer musisch begabten Juristenfamilie in Bremen. Sehr zielstrebig ging sie ihren Weg als Malerin, studierte gegen den Willen ihrer Familie von 1921 bis 1924 an der Kunstgewerbeschule in Bremen, bevor sie zur Kunstgewerbeakademie in Dresden wechselte.
Landschaftsaquarell Mühle Ahrenshoop, Ostsee 1935 und ...
... ihr Selbstportrait von 1936 zeigen den Malstil vor ihrer Tropenreise
Zum Großteil finanzierte sie ihre Studien durch Aufträge für Buch- und Zeitschriftenverlage und durch Preise bei Graphik-Wettbewerben. Auf Vorschlag des Inselverlages wurde sie Meisterschülerin in der Buchgewerbe-Akademie in Leipzig, trug sich in die Malerklasse ein, erhielt ein eigenes Atelier und beteiligte sich an zahlreichen Ausstellungen. Sie war eine der ersten Frauen, die ein akademisches Kunststudium absolvierte.
Zahlreiche Portraits, vor allem Kinderportraits, Landschaftsaquarelle (Tropenbuch), Blumenstilleben in Öl, Skizzen von Landschaften, Menschen und Tieren, die zum Teil bei einem viermonatigen Aufenthalt 1939 bei ihrem Bruder in Costa Rica entstanden, brachten ihren Durchbruch in der öffentlichen Anerkennung und wirtschaftlichen Erfolg.
Bleistiftzeichnung 1937 Kinderportrait eines Arbeiterkindes aus Ellwangen
Studienreise nach Costa Rica 1939 - Nespers Japones - Skizze aus dem Tropenblumenbuch
Aquarell Häuser Gruppe
Umzug nach Straubing:
1941 führte sie die Liebe nach Straubing, dort blieb sie bis zu ihrem Tod 1980. Sie heiratete ihren Cousin zweiten Grades, Willibald Scherer aus Passau, geboren 1892. 1942 kam ihr Sohn Stephan zur Welt.
In Straubing malte und zeichnete Luise Scherer zahlreiche niederbayerische Landschaften, Blumenstilleben und Portraits in allen möglichen Techniken (Öl, Mischtechnik, Aquarell, Zeichnungen, Radierungen, Kohle, Bleistift, Buntstift, Filzstift, Kugelschreiber, Tinte, Tusche, etc.) (Hutsch). Zu ihrem Wiesenblumenbuch bemerkte ein Kritiker lobend, dass „die Scherer Blumen wie Kinder portraitiere“ (Hielscher).
„Ihre große Begabung und Vorliebe äußerte sich in Portraits, vor allem von Kindern. ‚Sie wollte mit dem „inneren“ Auge sehen (Evers S.306), zeichnete daher nach der ersten Sitzung das Portrait aus dem Kopf, um nachzuspüren, ob sie den ganzen Menschen in Psyche und Geist erfasste’ “(Evers, S. 306). Sie sagte selber: „Ein Kinderportrait soll ja keine Photographie sein, es muss die Summe all dessen darstellen können, was das Kind ist, was es beschäftigt“ (Hielscher).
Frau Scherer stellte fest: „Bei Kinderportraits ist die erste ‚Sitzung‘ von ausschlaggebender Bedeutung. Obwohl ich meist spontane Kontakte zu Kindern habe, gehe ich abwartend an sie heran. Ich studiere - und erforsche mich. Das Kind, zunächst etwas befangen, ist in der ersten ‚Sitzung‘ am ruhigsten und es erweist sich bei der abendlichen Kontrollzeichnung, die aus der Erinnerung gemacht wird, sehr klar, ob man den kleinen Menschen erfaßt hat - oder erfassen kann.“
„Der Wunsch, das Erlebnis am Schönen, am Kleinen und Großen in der Natur zum Ausdruck zu bringen, Freude an Kindern, sie im Portrait zu erfassen, zur Freude anderer, Aussage zu finden für Symbolisches“. So fasst es die Künstlerin selbst in ganz kurzen Worten zusammen und bekennt auf die Frage, warum sie eigentlich male: „Aus Freude!“ (Hielscher).
Ende 1944 bis 1946 wurde Frau Scherer nach Gunting evakuiert.
Die Zeit in Gunting war für die norddeutsche, evangelische, sehr sensible Frau aus einer Großstadt, Bremen und Leipzig, sicherlich keine leichte Zeit, obwohl sie Bayern durch ihre Ferienaufenthalte schon kannte, da ihr Vater aus Bayern stammte.
Als Alleinstehende, evakuiert, auf einem Bauernhof mit Flüchtlingen, polnischen Fremdarbeitern und dienstverpflichteten Franzosen mit ihren zum Teil sehr rauhen Umgangsformen zu leben, war ungewohnt. Als freischaffende Künstlerin hatte sie keine festen Bezüge. Sie lebte räumlich beengt, unter sänitären Bedingungen, wie sie auf dem Lande in dieser Zeit noch üblich waren. Sie musste für sich und ihren Sohn kochen, die nötigsten Lebensmittel bekam sie wohl vom Bauernhof und sie versuchte mit Tauschgeschäften ihre Versorgung etwas zu verbessern: Bilder gegen Lebensmittel. Luise Scherer hatte eine große Truhe mit Bildern mitgebracht und malte auch weiterhin eifrig. Sie half auch bei der Ernte auf dem Haslbeckhof in Gunting mit, so gut sie konnte. Sie erlebte aber auch die Schrecken des Krieges, wenn gegen Kriegsende die amerikanischen Jagdflieger Zivilisten angriffen und die sich in den Straßengräben verstecken mussten. Mit Sicherheit hat sie auch die Bombenabwürfe auf die Stadt Straubing mit den verheerenden Folgen mit ansehen müssen.
In dieser Zeit freundete sich die Künstlerin neben der Familie Haslbeck auch mit der Familie Böhm in Gunting an, vor allem mit der Mutter Maria und der Tochter Martha. Martha bot sich als Babysitterin für den kleinen Stephan an, wenn die Mutter mit dem Fahrrad nach Straubing fuhr, um nach dem Rechten zu sehen. Luise Scherer bedankte sich mit Portraits der Kinder und der Mutter und mit Landschaftsbildern von Pönning, Gunting oder dem Gäuboden. Auch bei anderen Guntinger Familien sind Gemälde erhalten. Viele dieser Bilder sind Aquarelle, deren Technik sie besonders liebte.
Weihnachtsbaum aus dem Tagebuch 1944
Porträt der Rosa Haslbeck ca. 1945 nach der 1. Sitzung
Portraits der Martha und Rosa Böhm 1945
Mutter Maria Böhm am Spinnrad
Maria Böhm Junior
Pönning vom Giegelberg aus
Der Gäuboden
Ansicht des Haslbeckhofes 1945
Der Haslbeckhof in Gunting 1946
Der Ammerhof in Gunting 1946
Die Kirche in Pönning
Mutter Gottes mit Jesuskind
Landschaft- Blick auf das Frauenhölzl von Gunting aus
Christrose
Blick vom Spitzbergholz in Gunting aus auf den Gäuboden - links Oberharthausen, rechts Pönning, im Vordergrund Gunting
Der Hallerhof in Gunting
Donauauen
Mehrere Bilder mit Guntinger oder Pönninger Motiven werden noch nachgeliefert, ob es über die bekannten Bilder hinaus noch weitere Bilder mit Pönninger, Guntinger oder Gäuboden-Motiven gibt, ist bis jetzt nicht bekannt.
Offensichtlich dauert es noch einige Zeit, bis die Bilder eingereicht werden können.
Selbstportrait der Malerin Luise Scherer als selbstbewusste Malerin in ihrem Atelier aus dem Jahre 1955
Erneut in Straubing:
Nach der Evakuierung in Gunting kehrte sie mit ihrem Mann in eine Wohnung in Straubing zurück. Der Kontakt nach Gunting riss aber nicht ab.
Luise Scherer arbeitete bis ins hohe Alter und fand Anerkennung für ihre große Begabung und technische Überlegenheit.
In Straubing regte sie mit anderen eine Gemeinschaft Straubinger Künstler und Kunstfreunde an und wurde 1949 zusammen mit Prof. K. Tyroller, F. Lankes und Dr. Kratzer Mitbegründerin der „Gemeinschaft Bildender Künstler Straubing“.
In seiner Eröffnungsrede anläßlich der Gedächtnisausstellung für Frau Scheren am 17. Juli 1980 stellte Professor Karl Tyroller fest: .Sie erwies sich … als „die treibende Kraft dieser Vereinigung; sie versuchte ihre Vorstellungen einer profilierten Künstlergruppe zu verwirklichen; sie nahm die Verbindungen zu den städtischen Behörden auf und pflegte sie nachhaltig. Sie bereitet die Ausstellungen vor, kümmerte sich um die Werbung und übernahm die Benachrichtigung der Mitglieder,…“
Ausstellungen in Bremen, Dresden, Hamburg, Leipzig, München, Passau, Regensburg, Straubing, in mehreren Orten des Bayerischen Waldes, aber auch in Köln, Frankfurt und Florenz waren große Erfolge, auch in finanzieller Hinsicht.
1973 zeigte sie in Straubing zusammen mit ihrem Sohn Stephan, der einen eigenen Ausstellungsteil hatte, eine Übersicht über ihr gesamtes Lebenswerk, angefangen mit einer Bleistiftzeichnung aus dem Jahre 1922. Neu waren für den Betrachter auch die großen Schwarz-Weiß-Arbeiten und Schwarz-Weiß-Grafiken. Alle Werke zusammen zeigen „die Vielfältigkeit und Wandlungsfähigkeit von Marie Luise Scherer“ (Hielscher).
„Frühe, aus der Studentenzeit stammende bildnerische Intentionen hat die Künstlerin jetzt wieder aufgenommen, wie es heißt, von einem tiefen, seelischen Erlebnis dazu getrieben. Sie betrachtet angeblich tote Dinge. Steine, Äste, Strünke und vor ihrem Augen beginnen sie zu leben, bekommen Formen und Farben, bewegen sich und verändern sich. Das alles hat mit Abstraktion gar nichts zu tun. So wie die Künstlerin in den Fächern und Linien des Gesichtes das Leben sieht und darstellt, so tut sie dies auch mit diesen äußerlichen leblosen Dingen. Darin zeigt sich aber ihre Künstlerschaft, denn Kunst ist ja nichts anderes als Leben umzusetzen, neu und anders zu sehen, Leben in einem anderen Menschen echoartig erklingen zu lassen. Das ist Luise Scherer sehr gut gelungen mit ihren figuralen Kompositionen. (Stutzer)
Aggression - Signierter Kunstdruck von 1972, überreicht anlässlich eines Ausstellungsbesuches in Straubing 1973
Mädchenportrait aus dem Jahre 1978, Schindler
Landschaft bei Feldwies / Chiemsee 1956
Neben ihren Portraits nahm Marie Luise Scherer mit zunehmendem Alter Darstellungen von Bäumen wichtig. Zuletzt entstanden Zeichnungen von symbolisch anmutenden, sterbenden Bäumen und zerzausten Zweigen. (Inge Jakob)
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1980 Kugelschreiber u. Buntstifte - Durchsonnter, toter Sternbüschelbaum
Ihr großes Werk findet sich über die Welt verstreut in Museen, Kunstsammlungen und Bibliotheken in vielen Städten Deutschlands, (u.a. auch in Straubing), Skandinaviens, in London, Madrid sowie in Nord- Süd- und Mittelamerika, aber auch vielfach in Privatbesitz. Auch heute noch werden ihre Bilder in internationalen Auktionshäusern gehandelt, so zum Beispiel 2013 ein Blumenstilleben von 1931.
Quellen:
Am 21./ 22. Juni 1973 erschien im Straubinger Tagblatt, S.16, ein Artikel von Bernd Hielscher mit dem Titel ,,Freude schenken - Wirklichkeit erweitern“ über eine Austellung von Frau Scherer zusammen mit dem künstlerischen Werk ihres Sohnes Stephan J. M. Scherer.
Am 12.10.1978 erschien in der Passauer Neuen Presse ein Artikel von Volker Stutzer anläßlich einer Jubiläumsaussteilung der Künstlerin im Atelier Haus Scherer.
Im Straubinger Tagblatt erschien am 18.4.1980 ein Bericht von Bernd Hielscher über den Tod der Marie Luise Scherer.
In der Passauer Neuen Presse berichtete Peter Hutsch am 5. März 1982 über eine Gedächtnisausstellung in der St.- Anna-Kapelle in Passau zu Ehren von Frau Marie Luise Scherer. Die Ausstellung veranstaltete der Kunstverein Straubing zusammen mit dem Kulturamt der Stadt Passau und ihrem Sohn Herrn Stephan J. M Scherer.
Artikel von Inge Jakob über Frau Scherer in: Ulrike Evers, Deutsche Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts, Hamburg 1983
Angaben ihres Sohnes Stephan J. M. Scherer, u.a. „Marie Luise Scherer, Ein kleiner Einblick in ihr vielfältiges und umfangreiches Werk“ und Auszüge aus ihren Tagebüchern
Erinnerungen von Georg Haslbeck von Gunting
Die Fotos sind von Gemälden, die sich zum großen Teil hinter Glas befinden, wie man sehen kann, nicht von Profifotografen fotografiert und notwendigerweise teilweise nachbearbeitet. Die Originale sind bei den verschiedenen Besitzern, sie lagen nicht vor.
Das Resultat dürfte die Originalfarben treffen.
Die Erlaubnis, die Fotos der Bilder verwenden zu dürfen, liegt vor.
Allen, die mitgeholfen haben das Material zusammenzutragen und geholfen haben, diese Webseite zu erstellen, herzlichen Dank von mir, aber auch von Herrn Stephan J.M. Scherer. Natürlich auch denen, die die Bilder zur Verfügung gestellt und fotografiert haben.
Hans Haller